Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Urteil vom 10. Februar 2015 (IX R 18/14) entschieden, dass das schlichte „Vergessen“ des Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen –im Urteilsfall ein Verlustbetrag– in die entsprechende Anlage zu einer elektronischen Einkommensteuererklärung nicht grundsätzlich als „grob fahrlässig“ anzusehen ist. Danach könnten solche, die Steuerlast mindernden Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) auch dann noch berücksichtigt werden, wenn sie dem Finanzamt (FA) erst nach Bestandskraft der Steuerveranlagung mitgeteilt werden.
Der Kläger hatte im Jahr 2007 aus der Auflösung einer GmbH einen steuerlich berücksichtigungsfähigen Verlust erzielt, über den er seinen Steuerberater zutreffend informiert hatte. In den vom Berater gefertigten elektronischen Steuererklärungen fehlten jedoch Angaben zu diesem Verlust; denn obwohl der Berater den Verlustbetrag persönlich berechnet hatte, vergaß er, den ermittelten Betrag in das entsprechende Feld des EDV-Programms zu übertragen. Das FA, das somit von dem Verlust keine Kenntnis erlangte, veranlagte den Kläger erklärungsgemäß.
Im Jahr 2011 beantragte der Kläger nachträglich, den Verlust noch zu berücksichtigen. Das FA lehnte dies ab; denn nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei eine Änderung nur möglich, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran treffe, dass die vorgebrachten „neuen“ Tatsachen, die zu einer niedrigeren Steuer führten, erst nachträglich bekannt werden. Auch wenn dem Kläger selbst im Streitfall kein schuldhaftes Handeln vorzuwerfen sei, so habe doch der steuerliche Berater des Klägers grob fahrlässig gehandelt, indem er den Übertrag des bereits berechneten Verlustbetrages in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung schlicht „vergessen“ habe. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Der BFH stellte zunächst klar, dass der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen sei wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Allerdings seien Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit bei der notwendigen Beurteilung des „individuellen Verschuldens“ des Steuerpflichtigen oder seines Beraters ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder der elektronischen Steuererklärung mitunter schwieriger zu erlangen sei, als in einer Steuererklärung in Papierform.
Gerade ein solches individuelles Fehlverhalten, für das das FA die Beweislast trage, habe das FG im Streitfall jedoch nicht festgestellt. Die Nachlässigkeit, die im Streitfall dazu geführt habe, dass der Verlust erst nachträglich bekannt wurde, habe lediglich darin bestanden, dass der errechnete Verlustbetrag nicht in das elektronische Formular übertragen worden war. Darin liege ein unbewusster –mechanischer– Fehler, der jederzeit bei der Verwendung eines Steuerprogramms unterlaufen könne, welches den Finanzämtern die mechanische Erfassungsarbeit von Steuererklärungsdaten abnehme. Solche bloßen Übertragungs- oder Eingabefehler zählten zu den Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkämen und mit denen immer gerechnet werden müsse; sie seien jedenfalls dann nicht als grob fahrlässig zu werten, wenn sie selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden seien.
Im zweiten Rechtszug wird nun das FG erneut prüfen, ob den Steuerberater ggf. aus anderen Gründen ein grobes Verschulden daran trifft, dass der Verlust des Klägers dem FA erst nachträglich bekannt geworden ist.
Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 24.06.2015